Tittmoning. Als Rednerin zur anstehenden Landtagswahl konnte Ortsvorsitzender Dirk Reichenau Susanne Aigner aus Laufen im Tittmoninger Bäckerhaus begrüßen. Die Bewerbung um ein Landtagsmandat sei "ein schwieriges Geschäft", zumal dies im kleinen Stimmkreis Berchtesgadener Land ein besonderes Maß an Geduld erfordere. Susanne Aigner, Sozialarbeiterin bei der Arbeiterwohlfahrt, verheiratete Mutter zweier Töchter und SPD Stadträtin in der Salzachstadt Laufen bedankte sich beim Ortsverein Tittmoning: Es sei nicht überall selbstverständlich, daß für die Kandidatin ordentlich plakatiert und per Zeitungsanzeige geworben werde.
Wichtig sei für Aigner das gesellschaftliche Umfeld, dem sie sich verpflichtet fühlt. Schon historisch gesehen sei die SPD die Partei derer, die die Arbeit machen, aber in der politischen Wahrnehmung dann doch gerne übersehen werden. Sozialdemokratie stehe für Gleichberechtigung und Frauenrechte, die ausschlaggebenden Gründe für ihr eigenes Engagement und die Landtagskandidatur. Die Menschen müßten im Mittelpunkt politischen Handelns stehen, daher werde sie sich für sichere Arbeitsplätze, Zeit für Familien, bezahlbaren Wohnraum, ordentliche Kinderbetreuung und gute Schulen einsetzen. Ein von der CSU-Staatsregierung angekündigtes milliardenschweres bayerisches Raumfahrtprogramm ist da eher fehl am Platz und würde unnötig Finanzmittel binden, die dem Sozialstaat überall fehlten.
Susanne Aigner lobte das Engagement von SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in den Mittelpunkt ihres Landtagswahlkampfes zu stellen. Die Konzentration auf Ballungsgebiete führe dazu, daß nicht alle dort Wohnungen finden, wo sie möchten. Darin liege aber auch die Chance für den ländlichen Raum. Ein Register der Bayernweit für Wohnraum verfügbaren Bodenflächen müsse eingeführt werden, damit Kommunen vergünstigten Zugang zu Bauland haben. Genossenschaftlicher Wohnungsbau müsse stärker gefördert, auch die Landkreise seien aufgefordert, Wohnungen in Eigenregie herzustellen. Kreisrat Dirk Reichenau assistierte ihr: es sei bezeichnend, daß der Landkreis Traunstein wohl der Einzige im ländlichen Raum in Bayern sei, der eine erfolgreiche landkreiseigene Wohnbaugesellschaft betreibe.
"Wahlgeschenke mit der Gießkanne, eine Katastrophe"
Wahlgeschenke mit der Gießkanne, wie das bayerische Baukindergeld, seien keine wirkliche Hilfe, sondern eine Katastrophe, deshalb wird nicht ein Haus mehr gebaut. Die Politik müsse erkennen, wo sie zum Eingreifen gefordert sei. Hier hake es an fehlenden strukturellen Verbesserungen, wie längere Sozial-Bindungen, mehr Wohnheime für Auszubildende und Studenten, Investitionen in Barrierefreiheit. Auch sei es ein Unding, 33.000 staatliche Wohnungen zu "verscherbeln", wie dies die CSU im Nachgang zur Landesbankkrise getan habe.
Die Kinderbetreuung sei ihr ein persönliches Anliegen. So seien beispielsweise Betreuungseinrichtungen in Containern kein gutes Umfeld für junge Menschen, auf die wir unsere Zukunftshoffnung gründen. Für Kitas und Schulen müssten vorrangig Mittel bereitgestellt werden. Dies gelte auch für das notwendige Betreuungs-Personal. Im Übrigen sei es ein Unding, Lehrerinnen und Lehrer Ende Juli auszustellen, um sie im September wieder einzustellen. In Zukunft, so Aigner, sollten Betreuungsplätze, Schule und Universitäten kostenfrei sein, viele Großstädte in Deutschland seien hier Vorbild.
Susanne Aigner sprach auch die Zukunft des öffentlichen Personenverkehrs an. Autonom fahrende Verkehrsmittel werden in naher Zukunft alltäglich sein. Hierfür sei aber ein flächen-deckendes Internet in Echtzeit Voraussetzung, ländliche Gebiete seien hier immer im Nachteil. Für sozial schwächere Zielgruppen, wie Schüler, Studenten und Rentner müsse es kostenfreie Verkehrsangebote geben, ein "365-Euro-Ticket" sei keine Lösung, weil gerade die Benachteiligten nicht alle Tage unterwegs seien.
Der Pflegenotstand habe, so Aigner, zwei Gründe: zu wenig Personal und falsche Bemessungsgrundlagen. Aus ihrer eigenen Berufserfahrung könne sie berichten, daß zu viel Kompetenz für Dokumentationen verwendet wird, als besser auf den menschlichen Umgang und den tatsächlichen Pflegebedarf zu achten. Daß es zu wenige Bewerber für Pflegeberufe gäbe, sei nicht nur der schlechten Bezahlung geschuldet. Schichtarbeit und schlechte Arbeitsbedingungen brächten diesen Berufszweig in Verruf, die eigene Familie bleibt oft auf der Strecke.
"Unsere bayerische demokratische Lebensart"
Breiten Raum nahm die Diskussion um den Bericht aus der letzten Tittmoninger CSU-Versammlung ein. Dort war von linken und rechten Randgruppen die Rede, die das Land spalten würden und von einer "bayerischen demokratischen Lebensart", die anscheinend nur mit einer starken CSU bewahrt werde. Dies wollte SPD-Stadtrat Dirk Reichenau nicht ganz unkommentiert lassen: "Die Spaltung unserer Gesellschaft sei wohl eher ein CSU-Problem mit Horst Seehofer an der Spitze. Wer wie der CSU-Chef die Bundesregierung mehrfach an den Rand des Scheiterns bringt, mit dem Asylthema alle anderen Politikfelder zudeckt, gegen Ausländer hetzt, die Ausschreitungen in Sachsen verharmlost und als Bundesinnenminister sein Ministerium ganz offensichtlich nicht im Griff hat trägt ganz maßgeblich zum Erstarken der AfD und zur Spaltung unserer Gesellschaft bei." Das Selbstverständnis der CSU entspreche wohl eher der berühmten Zusammenfassung von Gerhard Polt "Wir brauchen keine Opposition, wir sind selber Demokraten".
Er rate den Verantwortlichen in der CSU dringend, das Problem von offenem oder verdeckt vorgetragenen Rassismus endlich ernst zu nehmen. Nicht die Zuwanderung sei die "Mutter aller Probleme" (Seehofer), sondern die Verweigerung der Union, im Rahmen des Koalitionsvertrages ein echtes Einwanderungsgesetz aufzulegen, statt den Populisten aus Ungarn, Österreich oder Italien "ständig nach dem Mund zu reden" und "einer gesellschaftlichen Randgruppe alle Schuld in die Schuhe zu schieben". Deutschland braucht allein aus wirtschaftlichen Gründen Zuwanderung. Dirk Reichenau erinnerte daran, daß zur Hochzeit der Flüchtlingskrise Konrad Schupfner als verantwortlicher Tittmoninger Bürgermeister mit der Unterstützung aller im Stadtrat vertretenden Parteien das einzig richtige gemacht hat: er hat sich vor seine Bürger hingestellt und um Hilfe bei der Bewältigung der Aufnahme von Flüchtlingen gebeten. Die bayerisch demokratische Lebensart müsse daher Mitmenschlichkeit, Pluralität, demokratisches Handeln und soziale Absicherung beinhalten, sagte der SPD-Vorsitzende abschließend.