Die Bundestagsabgeordnete und Wahlkreiskandidatin Dr. Bärbel Kofler war am vergangenen Freitag zu Gast bei der Tittmoninger SPD. Zwei Wochen vor der Bundestagswahl zog sie eine positive Bilanz der vergangenen Legislaturperiode und rief zu Optimismus auf.
Ortsvereinsvorsitzender Dirk Reichenau begann die Sitzung im Alten Bäckerhaus wieder einmal mit der Begrüßung eines neuen SPD-Mitglieds. Sichtlich stolz auf die "Fortsetzung der Familientradition" überreichte er seiner Tochter Anna das Parteibuch. Sie ist mit sechzehn Jahren jetzt die jüngste Tittmoninger Sozialdemokratin. Reichenau erinnerte in einer kurzen Einführung daran, dass das allgemeine Wahlrecht im Laufe der Geschichte erst mühsam errungen wurde, und plädierte dafür, es wahrzunehmen. Man habe Kofler eingeladen, um den Tittmoningerinnen und Tittmoningern die Möglichkeit zu geben, der Kandidatin Fragen zu stellen, "denn ein Bundestagsmandat bedeutet Macht auf Zeit". Bärbel Kofler lasse sich an ihren Taten messen. Dass sie nicht in jedem Bierzelt sitze, liege unter anderem daran, dass sie als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung viel im Ausland unterwegs sei, denn diese Aufgabe nehme sie ernst. Mit einer selbstkritischen Frage gab Reichenau dann das Wort an die Abgeordnete weiter: "Warum hat man nach vier Jahren großer Koalition den Eindruck, Angela Merkel sei die beste Kanzlerin, die die SPD je hatte? Warum setzt sich die SPD als Partei bei den Wählern so schwer durch?"
"Kurs halten in einer Zeit der Populisten"
Kofler verwies zuerst auf die zahlreichen Erfolge der Partei auf Länderebene. Man habe im Laufe der Jahre viele Landesregierungen übernehmen können. Erst in jüngster Zeit schlage das Pendel wieder zurück. Tatsächlich gebe es auf Bundesebene ein Wahrnehmungsproblem, denn in der abgelaufenen Legislaturperiode sei außer der PKW-Maut kein nennenswerter Gesetzesvorschlag von CDU/CSU durchgegangen. Die SPD hingegen habe etwa dafür gesorgt, dass es in Deutschland einen Mindestlohn gebe – "davon haben 3,7 Millionen Menschen profitiert, und das ist auch nicht mehr zurückzudrehen!"
Grundsätzlich stellte sie fest, die Wählerinnen und Wähler seien leider immer weniger an Fakten interessiert. Mit sachlichen Argumenten komme man oft nicht weit, "wir leben in einer Zeit der Populisten", und das gelte weltweit. Doch sie ermutigte, dennoch Kurs zu halten: "Solche Zeiten haben wir in unserer Geschichte immer wieder erlebt, und die SPD hat stets gut daran getan, an ihren Grundwerten festzuhalten." In ihrer Funktion sei sie oft in Ländern unterwegs, wo es lebensgefährlich sei, seine Meinung zu äußern. Man müsse darauf achten, dass die demokratischen Staaten Errungenschaften wie das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Unantastbarkeit der Menschenwürde nicht leichtfertig wegwerfen.
Arbeit, Rente, Gesundheit, Pflege
Zentral war in Koflers Ausführungen das Thema Arbeit, und daran geknüpft die Bereiche Sozialversicherungen, Rente, Gesundheit und Pflege. "Das hängt ja alles zusammen", erklärte sie, und das sei es auch, worum die Menschen, denen sie begegne, sich Sorgen machten. Sie plädierte für den Umbau des Rentensystems zur sogenannten Solidarrente und erläuterte das SPD-Rentenkonzept, mit dem man das Rentenniveau auf jeden Fall halten und in weiterer Perspektive wieder erhöhen wolle, während man für den Beitragssatz zukünftig eine Haltelinie bei 22 % einziehe. Eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit lehne sie ab, "denn viele erreichen ja schon heute das Rentenalter von 65 bzw. 67 Jahren nicht bei guter Gesundheit". Kofler betonte, um künftige Altersarmut zu vermeiden, müsse man vor allem jetzt für bessere Löhne sorgen. Aber auch das von der SPD geforderte, in der großen Koalition leider nicht durchsetzbare Rückkehrrecht in die Vollzeitbeschäftigung nach einer Teilzeit-Periode etwa wegen Pflege von Angehörigen oder Kindererziehung sei wichtig. Der Mindestlohn müsse weiterentwickelt, die sachgrundlose Befristung von Beschäftigungsverhältnissen abgeschafft werden. Was die SPD hinsichtlich der Begrenzung von Leiharbeit und Werksverträgen erreicht habe, sei gut, aber noch nicht ausreichend. Angesichts der Digitalisierung kämen neue Fragen auf die Arbeitswelt zu, die das SPD-geführte Arbeitsministerium sammle und bearbeite. Abschließend konstatierte sie: "Wir werden langfristig Zuwanderung in den Arbeitsmarkt brauchen."
Mehr Geld für sozialen Wohnungsbau
Auch der Frage nach bezahlbarem Wohnraum ging die Abgeordnete nach. Der soziale Wohnungsbau, der in der schwarzgelben Koalition unter dem damals zuständigen Minister Ramsauer "in den Keller gefahren" worden sei, müsse wieder Priorität bekommen. Die Stadt Wien etwa, wo es keine Wohnungsnot gebe, investiere jährlich so viel Geld in diesen Bereich wie die gesamte Bundesrepublik, wo es statt der benötigten 3 Mio Sozialwohnungen nur 1,2 Mio gebe. Dass der Freistaat Bayern vor vier Jahren 33.000 GBW-Wohnungen aus Staatsbesitz an "Heuschrecken" verkauft habe, sei ein Skandal. Kofler forderte stattdessen, die Mittel für den sozialen Wohnbau deutlich aufzustocken. Auch in Bildung, Forschung, Digitalisierung und Verkehrsinfrastruktur wolle die SPD investieren – "das ist wichtiger als Steuervergünstigungen!" Eine weitere Forderung für die Zukunft waren die in der großen Koalition nicht durchsetzbare Bürgerversicherung für alle Berufe und Einkommensarten, mit der gut bezahltes Personal in der Pflege gesichert werden soll.
Unwägbarer Wahlausgang
In der anschließenden Diskussion mit den Tittmoningern zeigte Kofler sich davon überzeugt: "Es lohnt sich, bis zum Wahlabend zu kämpfen." Den Meinungsumfragen traue sie nicht. Wenn im nächsten Bundestag tatsächlich sechs Parteien vertreten seien, werde eine Regierungsbildung ohnehin schwierig: "Es ist so unwägbar wie noch nie." Statt den Sympathiewerten vom Februar hinterher zu trauern, solle man darin das Potential sehen, das die SPD tatsächlich habe. Fritz Zellbeck erkundigte sich, ob man auch in Tittmoning mit öffentlichen Zuschüssen sozialen Wohnungsbau betreiben könne – der Bedarf sei da. Die Abgeordnete beantwortete ausführlich Reichenaus Frage nach ihrer Arbeit als Menschenrechtsbeauftragte, ging auf Ingo Eichbergers Erkundigung nach der Verkehrspolitik für ihren Wahlkreis ein und griff die Idee einer Körperschaftssteuer auf, die Josef Wittmann ins Spiel brachte. Abschließend beschrieb sie ihre Vision einer Welt, in der kein Mensch hungern müsse und der die Menschheit den Planeten Erde sorgsam bewahrt. "Optimismus gehört dazu", bekannte sie – "und wir dürfen auch stolz sein auf das, was wir erreicht haben."
Bericht von Dr. Gerda Poschmann-Reichenau