Bewegend – anders kann man die Vernissage zur Ausstellung "Rosa Krapplack in meinem Geäst" am vergangenen Dienstag auf der Burg Tittmoning nicht bezeichnen. In Anwesenheit aller drei Bürgermeister, zahlreicher Stadträte und noch zahlreicherer Künstlerinnen und Künstler aus Tittmoning und Umgebung und musikalisch umrahmt von Josef Irgmaier an Klavier und Akkordeon, eröffneten 1. Bürgermeister Konrad Schupfner und Kulturreferent Josef Wittmann eine außergewöhnliche Werkschau, mit der eine ganz besondere Frau in die Salzachstadt zurückkehrt.
Die Tittmoninger Kunstszene spürbar belebt
Bürgermeister Schupfner erinnerte eingangs: In den Achtzigern war die in Neubeuern Geborene nach Philosophie- und Kunststudium in München nach Tittmoning gezogen, hatte sich dort mit einer Malschule und einem Kleinzirkus engagiert und war 1984 als erste Frau in den Stadtrat eingezogen. Als Referentin für Kultur, Soziales und Umwelt hatte sie die Kunstszene in Tittmoning spürbar belebt mit dem ersten "Kunstplatz" 1988, dem Skulpturenpark im Ponlach 1990 und – gemeinsam mit dem österreichischen Künstler Karlheinz Schönswetter – mit der grenzüberschreitenden Aktion "Kunstgrenzbezirk" 1991. Der Skandal um ihre gegenüber der Ponlachkirche aufgestellte Skulptur in Form einer "Gebärmutterkröte", die an die Ursprünge der Wallfahrtstradition an diesem Ort erinnern sollte und nach empörter Intervention der Diözese entfernt wurde, "hat Tittmoning aufgewühlt und der Salzachstadt überregionale Medienaufmerksamkeit beschert", blickte Schupfner zurück. Es folgte 1991 der Weggang nach Wien, wo von Samsonow seit 1996 einen Lehrstuhl an der Akademie der Bildenden Künste innehat. "Kein einfacher Kunstgenuss", so Schupfner, sei die Begegnung mit den Werken, und lud dazu ein, "deren Schönheit zu entdecken und sich mit ihrem tieferen Sinn zu befassen". Sein Dank galt besonders dem Kulturreferenten Josef Wittmann, der den Kontakt zu der Ex-Tittmoningerin gepflegt und sie für diese Ausstellung gewonnen hatte.
Weitere Informationen anzeigenWittmann stellte in seiner engagierten Eröffnungsrede fest, die Frage "für was soll das gut sein?" angesichts zahlloser Arbeitsstunden und mühseliger Vorbereitungen in der Kulturarbeit sei falsch gestellt. Nicht alles müsse sich gleich lohnen. Aufgabe der Kunst sei es vielmehr, Fehlentwicklungen und falsche Muster im sogenannten Fortschritt aufzuzeigen, der momentan dabei sei, die "Endlösung der Menschheitsfrage" zu betreiben. Von Samsonows Werk trage dazu bei – etwa mit ihrem monumentalen "Think Tank" im Carabinierisaal, der eine Einladung darstelle, sich hineinzudenken in die Frage nach der Stellung des Menschen im Universum. "Lassen Sie die Fragen zu, die Ihnen die Objekte stellen", ermunterte Wittmann, "werden Sie zum staunenden Kind, der dem Unbekannten, zunächst Unbegreiflichen begegnet!" Die "mediale Aufmerksamkeit", von der Schupfner angesichts der Ereignisse 1990 gesprochen hatte, rückte er allerdings mit deutlichen Worten in ein anderes Licht, indem er von "unsäglicher Hetze" sprach, der die Künstlerin sich damals ausgesetzt gesehen habe. Umso erfreulicher sei das Zustandekommen dieser Ausstellung, wofür er sich bei allen Helfern, Mitwirkenden und Unterstützern herzlich bedankte, nicht zuletzt bei Bürgermeister Schupfner, "der die Kulturarbeit hier kundig und nachdrücklich unterstützt".
Ein vielfältiges Bezugssystem aus Bedeutungen und Verweisen
Den Rundgang durch die Ausstellung beginnt man am besten im Fürstenstock, wo im Eingangsbereich vier "Seelendiagramme" gleich das vielfältige Bezugssystem der Bedeutungen und Verweise eröffnet, in dem die Philosophin und Kulturanthropologin sich ganz selbstverständlich bewegt. Schon im alten Ägypten symbolisierte der Schmetterling die Seele, doch die Machart der "Psyche"-Bilder hier - auf Transparentpapier gemalt und zwischen Glasplatten gelegt – erinnert zugleich an Hinterglasmalerei, was traditionelle alpenländische Volkskunst und deren Anverwandlung durch den deutschen Expressionismus assoziieren lässt. Tatsächlich nennt von Samsonow den Expressionismus eine für sie besonders prägende Kunstrichtung. Die den "Psychen" gegenüber gehängte abstrahierende Tempera-Landschaft "Im Vorgebirge", die wie all ihre hier ausgestellten großformatigen Gemälde durch starke, eigenwillige und von ihrer Darstellungsfunktion oft gelöste Farben, vereinfachte Formen und energischen Pinselduktus beeindruckt, verweist wiederum auf den Schweizer Symbolisten Ferdinand Hodler.
Die Malerei, bevorzugtes Ausdrucksmittel während ihrer Zeit in Tittmoning, hatte die Künstlerin seit 1990 zugunsten von Skulpturen, Installationen und Performances vernachlässigt, die in Form zweier Video-Dokumentationen ebenfalls vertreten sind. Erst im vergangenen Jahr, nachdem sie bei Tittmoning privat eingelagerte Bilder aus dieser Zeit abgeholt hatte, entdeckte sie diese Ausdrucksform wieder für sich. Und so kann man in dieser Ausstellung sowohl figurative Gouachen von Samsonows aus den späten achtziger Jahren entdecken (Fürstenstock, 1.OG) als auch großformatige Bilder aus dem letzten Jahr im Carabinierisaal. Ihr Werk spannt dabei Bezüge in die Kunst- und Ideengeschichte weit über den oben genannten Expressionismus hinaus. Sie zitiert Tintoretto und sein Rot in ihrer Malerei ebenso wie die Kykladenidole, denen im Fürstenstock ihre jüngste Skulptur "Idol" (2017) mit strengem Formalismus nachspürt, und natürlich griechische Philosophie und Mythologie von Heraklit bis Demeter. Dass dem "Idol" gegenüber eine in Tüll eingenähte lebensgroße Frauenplastik, ein im dahinter gehängten Bildnis von 1989 noch gedoppeltes Selbstporträt, die Optimierung des Körpers durch Schönheitschirurgie thematisiert, zeigt das enorme Spannungsfeld zwischen Frühgeschichte und Gegenwart, in dem diese Kunst – und auch die Künstlerin selbst - sich bewegt.
Skulpturen zwischen Baum und Mensch
Dass in von Samsonows Werk immenses kulturelles Wissen und Einflüsse aus verschiedensten Kulturkreisen und Epochen einfließt, spürt man vor allem bei den Skulpturen, deren frühere Seinsform als Baum übrigens immer mitschwingt, wie die Bezeichnung "Transplants" für diejenigen von ihnen mit menschlichem Antlitz verrät. Ausnahmslos aus Lindenholz gearbeitet, gemahnen sie in der Formgebung und rohen Bearbeitung teils an afrikanische Stammeskunst und frühgeschichtliche Statuetten, sind aber in von Samsonows typischen Farben gefasst, teilweise mit elektrischer Beleuchtung ausgestattet, besaitet und auf Räder gesetzt. "Natürlich bezieht sich alles aufeinander", bemerkt von Samsonow wie selbstverständlich im Audienzsaal des Fürstenstocks, wo fünf lebensgroße Holzskulpturen in der Mitte des Raumes und vier großformatigen Gemälde an den Wänden die bemalte, elektrisch illuminierte "Geigenkastenlampe" fast übersehen lassen, die in einer Ecke aufgestellt ist. Die Hohlform des kleinen Instrumentenkastens korrespondiert indes mit Körper, Steg und Saiten der ihm am nächsten stehenden Holzskulptur "Madonna" (2012), die sich auch spielen lässt wie ein Saiteninstrument. Und natürlich verbindet sie alle das Material Holz, zu dem die Künstlerin eine spürbar enge Beziehung hat. Zur Wirkung der Skulpturengruppe in diesem Raum, die als "Große Audienz" in dieser beeindruckenden, eigens für Tittmoning entstandenen Zusammenstellung zum ersten Mal zu sehen ist, trägt auch der Geruch des Lindenholzes bei, den jede von ihnen ausstrahlt. Das Holz des nach einer keltischen Gottheit benannten, in Rosa und Rot gefassten Pferdes "Rudiobus Sacer", so verrät die Künstlerin, ist tausend Jahre alt und stammt von einer Linde aus Heitzenberg bei Halsbach. Mit diesem Baum hat sie zur Bildhauerei gefunden: 1989, sie lebte noch in Tittmoning, hörte sie von dieser Linde, die gefällt werden musste, erwarb sie und verhalf ihr in ihrem Werk zu neuem Leben. Wie der Reiter mit dem Pferd, einem wiederkehrenden Motiv in ihrem Werk, zu einem einzigen Kentaurenkörper zu verwachsen scheint, so empfindet von Samsonow die Beziehung der Bildhauerin zu ihrem Material, dem Baum. Erstaunlich auch die Geschichte der monumentalen, mit Matisse zitierenden stilisierten Blättern im titelgebenden Farbton "Krapplack Rosa" bemalten Skulptur "Große Lyra von Neubeuern" im Carabinierisaal: Sie ist aus dem Holz der sogenannten "Hofmannsthal-Linde" gearbeitet, welche der deutsche Dichter 1908 im Schloss Neubeuern gepflanzt hat, dem Geburtsort der Künstlerin. Als der Baum 2012 einem Sturm zum Opfer fiel, sicherte sich von Samsonow dieses geschichtsträchtige und –tragende Holz zur Verarbeitung.
Installationen als Ausdruck komplexer Denkbewegungen
Malerei und Skulptur vereinen sich gemeinsam mit dem Raum und einem ausgesprochen theatralen Sinn für Inszenierung zu einigen Installationen, die auf den ersten Blick ratlos machen mögen, immer aber Ausdruck komplexer philosophischer Denkbewegungen sind und gerne mit Begrifflichkeiten spielen. Erklärungen der Künstlerin zu dem befremdlichen Ensemble aus bemaltem metallenem Rundhorizont mit Pferdekopf, Zuckerstücken, Holzskulptur und Fahrrad-Kindersitz im Carabinierisaal geben einem das Gefühl, in einen Kopfinnenraum vorgedrungen zu sein. Der hölzerne Sattel, auf dessen gebogene Innenseite die Erde mit ihren Sphären gemalt ist, spielt, wie der Titel "Sattel-Knoten-Bifurkation-Welt" verrät, mit dem Begriff des Sattelknotens von Parabeln, der als Weltmodell herangezogen wird. Die Installation eines Ehebetts aus den dreißiger Jahren mit Bildern, die sowohl das intimste als auch das äußerliche Leben dieser Zeit darstellen, illustriert im Prälatenstock die These, dass das elterliche Schlafzimmer erster "Ort der Erkenntnis", "Ursprung der Neugier", "Quelle des Forschungsdrangs" (so der Begleittext) ist. Und die Anordnung zweier Spiegelkommoden und eines Selbstporträts von 1987 im angrenzenden Nebenraum versteht besser, wer das österreichische Wort für diese Möbel kennt: "Psyche". Durch die Spiegel der beiden aufgestellten "Psychen" sieht man das Gemälde schon lange, ehe man den Raum betritt…
Der Besuch dieser Ausstellung ist eine Reise durch die Kunst- und Menschheitsgeschichte, eine Reise auch tief in das Unterbewusste, eine Einladung, unter die Oberfläche zu sehen und hinter die Spiegel. Die Bezüge zu den Jahren, die von Samsonow in Tittmoning verbracht hat, sind deutlich gesetzt in dem Raum, der mit Fotos und Zeitungsausschnitten die "Ponlachkrise" dokumentiert. So nennt die ehemalige Kulturreferentin der Stadt die Aufregung rund um ihren Skulpturenpark im Ponlach vor fast dreißig Jahren heute - "des war scho a turbulente Zeit", wie zwei Stadträte es bei der Vernissage rückblickend ausdrücken. Doch auch unabhängig davon nimmt die Ausstellung in vieler Hinsicht Bezug auf die Stadt, in der von Samsonow entscheidende Jahre ihres Lebens verbracht hat, und schlägt einen Bogen, wie Schupfner einleitend sagte, "über drei Jahrzehnte künstlerischen Schaffens".
Geöffnet bis 27. Mai täglich außer Mo./Di. von 13 bis 17 Uhr.
Bericht und Foto von Dr. Gerda Poschmann-Reichenau