Josef Wittmann: Rede zur Vernissage der Ausstellung "Krapplack rosa in meinem Geäst" von Elisabeth von Samsonow

Josef Wittmann: Rede zur Vernissage der Ausstellung "Krapplack rosa in meinem Geäst" von Elisabeth von Samsonow

01. Mai 2018

Kunst auf der Burg in Tittmoning. Schee. Aber fia wås soi s guad sei?

Sehr geehrte Damen und Herren,

Kunst auf der Burg in Tittmoning. Schee. Aber fia wås soi s guad sei?

Glauben Sie s mir: das hab ich mich in den letzten Wochen oft gefragt. Wir haben die Aus-stellungs-Saison in diesem Jahr schon im April mit dem Bücherparkett begonnen, das Buch als Material verwendet, Lesungen veranstaltet. Um die 500 Leute haben sich s angeschaut und angehört, knapp tausend Kilogramm Bücher haben wir die Treppe hinaufgeschleppt, rund 100 Stunden Zeit dafür aufgewendet. Und ohne Pause ist es diese Woche weiter gegangen, über tausend Kilogramm Skulpturen sind ausgeladen, zwischengelagert, durch niedere Türen und über Treppen getragen worden, Bilder mussten aufgehängt, Vitrinen bestückt, Fotos bearbeitet, Plakate entworfen, gedruckt, verteilt, Verträge geschlossen werden…

Fia wås soi des guad sei?

Die Frage ist falsch. Die Frage stammt aus einem komplett falschen Denken. Die Frage setzt voraus, dass die Unterwerfung der Menschen unter das Prinzip der Wirtschaftlichkeit, also das Prinzip, dass sich alles, was man tut, lohnen muss, und zwar möglichst sofort, alternativlos (Kanzlerinnenwort) wäre. Das ist sie aber nicht.

Ich bin selber drauf reingefallen, hab zu Elisabeth bei einem Geplänkel während der Arbeit gesagt, "aber ohne Prinzip erreichst doch nix. Wenn s koa Idee gebn hätt, de wo ålle eileicht, dann hätt s überhaupt koan Fortschritt gebn, koa Gschichte, koa Entwicklung, dann waarn ma oiwei no Jäger und Sammler und rennatn auf unsere Pfade im Kreis umanand". Und die Elisabeth hat geantwortet, "was wär schlecht dran? Wo führt die Entwicklung denn am End hin?"

Uh ja, wo führen uns die gewohnten Strukturen hin? Die längst autonom funktionierenden Sachapparate, die Konzerne mit ihrer unbegrenzten Zeit zum unbegrenzten Ansammeln von Gewalt, wohin treiben sie uns? Was passiert, wenn man sterbliche Menschen mit ihren tausend Pflichten und Lasten und mit der Erhaltung des Lebens in Konkurrenz stellt mit juristischen Personen, die nicht leben, nicht sterben, nicht krank und nicht arbeitslos werden, die überhaupt kein Organ für die Erhaltung der lebendigen Welt haben und darum auch überhaupt keiner Moral unterworfen sind? Jeder kann sich ausmalen, wie so ein Wettbewerb ausgeht: wir sind mitten in der Endlösung der Menschenfrage, aber wir reden nicht drüber, weil s nix mehr nützt.

Das jetzt sichtbar zu machen, spürbar, erlebbar, begreiflich werden zu lassen, die Denkfehler zu zeigen, die falschen Muster zu entlarven, die falschen Begriffe aufzudecken – daran arbeiten wir: Elisabeth als Bildhauerin und Malerin, Josef Irgmaier als Komponist, ich als Dichter und Kulturlaufbursch und ganz viele, die uns helfen. Letztlich auch Sie, unsere Gäste, die mit uns fragen, für was das, was wir tun, eigentlich gut ist.

Sie finden in der heute eröffneten Ausstellung zum Beispiel einen monumentalen Think-Tank. Eine nahezu raumfüllende Skulptur aus massivem Eisenblech. Klopfen Sie ruhig einmal dagegen, spüren Sie, wie hart und unnachgiebig das Material ist. Denken Sie dran, dass Tank nicht bloß der Behälter für Diesel in veralteten Autos ist, sondern auch das englische Wort für Panzer. Großer Himmel: so viel harter Stahl für das weichste und beweglichste Werk des Menschen, für das Denken? Was für ein Denken gedeiht da drin? Was machen Gedanken-panzer mit uns?

Sie finden im Think-Tank den Pferdetisch, der den Untertitel "Mutter" trägt und daneben ein Bildnis der Erde mit einem angebauten Babysitz. Denken Sie sich hinein in Ihre Rolle als Mensch. Überlegen Sie einmal, wie Sie an die süße Geborgenheit kommen, die der Zucker auf dem Tisch verspricht, und was die Nähe zum Pferd bedeutet, zu der eingespannten, zugerittenen Mit-Kreatur. Lassen Sie die Fragen zu, die Ihnen die Objekte stellen. Gehen Sie einmal nicht mit der Überlegenheit des Endverbrauchers ans Werk. Seien Sie einmal wieder lernendes Kind, das unbekannten Dingen begegnet.

Dann begegnen Sie einem Elternschlafzimmer. Eine philosophische Theorie geht davon aus, dass der rätselhafte Ort, an dem die Eltern ihre Intimität ausleben, der Ursprung aller Neugier und aller Wissbegierde sei. Die Eltern schöpfen dort ja nicht nur das Glück des Lebens aus vollem Brunnen, sie nehmen in ihr intimes Refugium auch die Sorgen um ihre Existenz in den Grenzen der jeweils regierenden Mächte mit. Schicht um Schicht, Decke um Decke, Tuch um Tuch decken Sie als lernendes Kind auf, was hier verborgen ist. Und nicht nur das Bett, auch der Raum birgt Geheimnisse. Das aus dem Nebenraum nur über "Psychen" (wienerisch für Spiegelkommoden) gespiegelte Selbstbildnis weist Sie darauf hin. Und der historische Raum hier auf der Burg verlängert den Einfluss von außen, die Extimität: nicht nur die Zeitgeschichte prägt die Eltern, auch die historischen Ereignisse (Grenzziehung 1816, beachten Sie die Gedenktafel) und die unerklärlichen Relikte in den Bauwerken aus früherer Zeit (heben Sie den Blick zu den Eisenringen im Gewölbe) machen die Eltern zu denen, die sie sind.

Sehen Sie an den Video-Aufzeichnungen von der Ausstellung in München, wie dasselbe Objekt in anderer Umgebung wirkt, nehmen Sie Ihre Wissbegierde mit in den Fürstenstock, gehen Sie dort mit der gleichen Lernfähigkeit auf die Installationen, auf die Skulpturen, auf die Bilder zu. Hören Sie auf die spontanen Gefühle, welche die Kunstwerke in Ihnen auslösen. Beachten Sie bitte auch im Nebenraum im 1. Stock den kleinen Rückblick auf den Skulpturenpark von 1990 im Ponlach und die in der Vitrine ausgestellten Dokumente über die unsägliche Hetze, der das damalige Kunstprojekt ausgesetzt war. Benutzen Sie gern, wenn Ihnen danach ist, den Biedermeiersessel als Bildwerk kleinbürgerlicher Borniertheit.

Aber erfreuen Sie sich auch an dem lichtdurchfluteten Saal im 2. Stock, wo Skulpturen ganz unterschiedlicher individueller Bedeutung in einer weltweit erstmals gezeigten Gruppierung als "Große Audienz" zu sehen sind. Dieses Ensemble ist einmalig, ist nur in Tittmoning und nur bis zum 27. Mai zu sehen. Es soll auch daran erinnern, dass Kunst nicht nur klug und fordernd und mahnend ist, sondern vor allem schön.

Ich komme zum Schluss, da muss ich den Anfang erklären. Wir, hab ich gesagt, wir haben dies und das getan, damit diese Ausstellung stattfinden kann. Das klingt nach machtbesoffenem Majestätsplural, bei dem einer sich vor lauter Wichtigkeit doppelt sieht. So ist es aber nicht gemeint. Ich allein hätte gar nichts erreicht. Ich habe auf die volle Unterstützung durch die Tourist-Info der Stadt bauen können, Manfred Brzoska, Tanja Perseis, Michelle Porst haben, unsichtbar für die Öffentlichkeit, ihren Beitrag zum Gelingen geleistet. Die Mitarbeiter des Bauhofs haben werktags in mehreren Schwerlasteinsätzen Kunst getragen, am Wochenende hat uns Familie Günther geholfen. Gerda Poschmann hat die Öffentlichkeitsarbeit geleitet und die Verbindung zur Heimatzeitung gehalten, wo uns Mario Born vortrefflich unterstützt hat. Christian Günther hat in vielen kreativen Stunden Plakatentwürfe gemacht, Handzettel gedruckt und die Beschriftung der Kunstwerke – gestern kurz nach Mitternacht – fertiggestellt. Wir haben vom Kulturreferat der Millionenstadt München den Think-Tank von Flugrost befallen übernommen und am Freitagnachmittag festgestellt, der kann so nicht ausgestellt werden. Das Team der Firma Schechtl hat in einer freiwilligen Spätschicht die Rostflecken herauspoliert und das Kunstwerk gerettet. Ebenfalls in letzter Minute hat uns Claudia Kreuzeder von Dataline die Videostationen geliehen und Daniel Strasser hat sie uns nach Feierabend installiert. Renate Würzinger hat uns zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten Zugang zu den Räumen verschafft und vielseitig geholfen, am Ende auch die Reinigung aller Räume übernommen. Agnes Fürmann hat das Café auch an ihren Ruhetagen nicht verschlossen und uns bestens versorgt, sie bedient Sie auch jetzt zur Vernissage. Und natürlich wäre alles vergebens, wenn Konrad Schupfner als Bürgermeister die Kulturarbeit nicht so kundig und nachdrücklich unterstützen würde. Allen, wirklich allen, ob nun namentlich genannt oder nicht, die im großen WIR mitgewirkt haben, danke ich von Herzen. Die Ausstellung ist eröffnet.

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